Die EZB ist keine unabhängige Beraterin mehr

Gastbeitrag (gemeinsam mit Tobias Knedlik), Fuldaer Zeitung, 14.06.2011

Mancher Beobachter stempelt die Europäische Zentralbank zurzeit als Bad Bank ab, also zu einer Abwicklungsanstalt für Ramschpapiere. Was ist dran an diesem Vorwurf? In dem Maßnahmenpaket, das die EZB in Reaktion auf die Finanzkrise geschnürt hat, sind tatsächlich riskante Operationen enthalten: die Absenkung der Bonitätsanforderungen für Sicherheiten und die direkten Käufe von Staatsanleihen aus Krisenländern.

Mit den Sicherheiten, die im Gegenzug zur Liquiditätsbereitstellung bei ihr zu hinterlegen sind, sichert sich die EZB für den Fall ab, dass eine Geschäftsbank zahlungsunfähig wird. Dann kommt es auf den Wert der Sicherheiten an. Und hier gibt es einen wahren Teufelskreis. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Geschäftsbanken in eine Schieflage geraten, ist genau dann besonders groß, wenn sich die Schuldenkrise der Peripherieländer weiter zuspitzt und Umschuldungen nicht mehr vermieden werden können. In dem Fall sind dann auch die Sicherheiten nichts mehr wert, weil Banken in Krisenländern häufig Staatsanleihen ihres Sitzlandes hinterlegen. Hinzu kommen Papiere, für die es keinen organisierten Markt (mehr) gibt, wie die in der Finanzkrise in Missgunst geratenen Asset-Backed-Securities. Grundsätzlich werden zwar nur gute Bonitäten akzeptiert, und es werden Abschläge je nach Bonität vorgenommen. Die Sicherheiten werden allerdings nur von den nationalen Notenbanken geprüft. Wird die EZB dadurch zur Bad-Bank? Nein, anders als bei einer Bad-Bank, die nur hoch-riskante Papiere hält, dürfte der Hauptteil der Sicherheiten nach wie vor von hoher Qualität sein.

Kommen wir zu den direkten Käufen von Staatsanleihen. Das Ziel dieser Käufe besteht in der Stabilisierung der Wertpapiermärkte. Hier dürfte aber der fromme Wunsch Vater des Gedankens sein – nicht die objektiven Erfolgsaussichten. Insofern spielt die EZB hier in der Tat eine Rolle, die mit einer Bad-Bank vergleichbar ist.

Es gibt also Grund zur Sorge – aber nicht vor allem aufgrund der geschilderten Risiken in der EZB-Bilanz. Bei aller berechtigen Kritik ist die schiere Höhe der möglichen Verluste insgesamt zwar substantiell, aber wohl kaum existenzgefährdend für die EZB. Bei der Beurteilung der möglichen Verluste ist außerdem gegenzurechnen, dass die Alternativen in der gegenwärtigen Schuldenkrise auch nicht kostenlos sind.

Sorge bereiten vielmehr die Risiken für die Geldpolitik, die von den diskutierten Maßnahmen ausgehen. Die EZB hat ihren Status als unabhängige und kritische Beraterin der Finanzpolitik eingebüßt. Sie steckt jetzt mit drin. Wenn die EZB etwa gebetsmühlenartig eine Gläubigerbeteiligung bei der Lösung der Griechenland-Krise ablehnt, so muss man leider vermuten, dass sie dabei eigene Interessen verfolgt. Die Gläubiger sind nämlich nicht nur im Privatsektor zu finden. Die riskanten griechischen Papiere werden auch von öffentlichen Banken, den Rettungsfonds und der EZB gehalten. Im schlimmsten Fall, einem Ausfall der griechischen Schulden zusammen mit einem Zusammenbruch wichtiger Banken in den Krisenländern, würde der Steuerzahler nun auch auf dem Umweg über die EZB oder durch Geldentwertung zur Kasse gebeten.

Der zu Recht als Sündenfall bezeichnete Einstieg der EZB in Ankäufe von Staatsschuldtiteln sollte daher baldmöglichst beendet werden, und die Anforderungen an notenbankfähige Sicherheiten sind zu erhöhen. Es ist Zeit für die Beendigung der unkonventionellen Geldpolitik. Die Probleme zahlungsunfähiger Staaten oder Banken sollten nach Abwägung der kurzfristigen Finanzsystemstabilität, der Wahrung von Eigentumsrechten der Gläubiger und der langfristigen Anreizwirkungen ordnungspolitisch sauber gelöst werden. Die unkonventionelle Geldpolitik mag in der Krise für zeitlichen Aufschub gesorgt haben – sie ist mittlerweile aber kaum noch angebracht.