Das Geld der Anderen

Gastbeitrag (gemeinsam mit Ulrich Blum und Tobias Knedlik), Financial Times Deutschland, 18.05.2011

Ein Schuldenschnitt ist schwieriger, als viele glauben. EU und IWF können nicht einfach über Eigentumsrechte von Gläubigern entscheiden. Dazu bräuchte es ein unabhängiges Gericht.

Die Umschuldung Griechenlands steht bevor – ob hart, durch einen Schuldenschnitt, oder weich, über eine Laufzeitverlängerung der Staatsanleihen. Es scheint jedenfalls fast ausgeschlossen, dass allein ein makroökonomisches Anpassungsprogramm die griechische Verschuldung auf ein tragbares Maß zurückführen kann. Stattdessen gehen Politiker und Ökonomen vermehrt davon aus, dass die Beteiligung der Gläubiger nötig sein wird. Das könnte ein Vorgeschmack auf die Zukunft sein. Denn auch der im März beschlossene Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), der 2013 in Kraft treten soll, sieht für einen solchen Fall regelmäßig die Beteiligung der privaten Gläubiger vor, sofern dabei nicht unverhältnismäßige Risiken für die Finanzsystemstabilität drohen. Der gegenüber souveränen Schuldnern ohnehin nur eingeschränkt wirksame Gläubigerschutz würde dann durch Beschluss von EU-Organen in Zusammenarbeit mit dem IWF mit dem Argument aufgehoben, dass andernfalls die Stabilität des Euro insgesamt gefährdet sei.

Dieses Vorgehen ist bedenklich. Euro-Staaten, die um Hilfe bitten, würden dabei zur Enteignung ihrer Gläubiger aufgefordert. Faktisch bedeutet dies, dass im Rahmen einer Konsultation festgelegt wird, welche Arten von Eigentumsrechten zu beschneiden sind, welche Papiere in welchem Bereich des Eigentums tatsächlich von der Abwertung betroffen sein sollen. Was berechtigt diese Organe, die Staaten von ihren vertraglichen Verpflichtungen zu befreien?

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass eine Beteiligung der privaten Gläubiger im Zuge einer Umschuldung einen Eingriff in deren Eigentumsrechte bedeutet. Und es ist hinlänglich bekannt, dass stabile Eigentumsrechte ordnungsökonomische Voraussetzung für eine funktionierende Marktwirtschaft sind. Ohne verlässliche Eigentumsrechte wird die wirtschaftliche Planung erschwert, was sich in höheren Risikoprämien, also Finanzierungskosten, niederschlägt. Hinzu kommt, dass eine Umschuldung öffentlicher Anleihen aus dem Euro-Raum nicht nur die großen Banken treffen würde, sondern über den Umweg von Lebensversicherungen und Investmentfonds auch viele kleine private Sparer. Durften diese nicht auf den Schutz ihres Eigentums vertrauen, und ist deren (Teil-)Enteignung im Rahmen eines Haircuts nicht eine schwere ordnungsökonomische Sünde? Erst recht, wenn man bedenkt, dass im hoch verschuldeten Griechenland derartige Eingriffe bis heute nicht stattfinden? Hier zeigen sich die Folgen einer falschen Politik, die glaubte, eine vereinfachte Kreditgewährung reiche aus, um den griechischen Staatshaushalt zu sanieren.

Was spricht also für eine Umschuldung und die damit verbundene Beschneidung von Eigentumsrechten? Zu den konstituierenden Prinzipien der Marktwirtschaft gehört nicht nur der Schutz der Eigentumsrechte, sondern auch die Haftung – oder, um es mit den Worten des Ökonomen Walter Eucken zu sagen: „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen.“

Um eine untragbare Verschuldung anzuhäufen, braucht es immer zwei Parteien, nämlich Gläubiger und Schuldner. Könnten Gläubiger darauf setzen, dass bei Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit eines Schuldners ein Dritter einspringt, so wäre dies für sie ein starker Anreiz, einem Schuldner ohne Berücksichtigung seiner Bonität immer mehr Kredit zu geben und entsprechende Zinsen zu verdienen. Auch der Schuldner bräuchte sich keine großen Gedanken zu machen, schließlich gäbe es im Ernstfall die Hilfszahlungen der internationalen Staatengemeinschaft. Der Nutzen läge also bei den Gläubigern und bei den Schuldnern, der Schaden beim Dritten. Diese unsinnige Anreizstruktur würde eine angemessene Preisbildung auf den Anleihemärkten behindern und die öffentliche Verschuldung fördern.

Die dezentrale Koordination ökonomischer Entscheidungen ist ein Grundprinzip der Marktwirtschaft. Deshalb muss es Regeln geben, die eine fundamental angemessene Preisbildung auf Märken erlauben. Die bestehenden Regelungen und auch die des ESM leisten dies nicht. Der ESM setzt vor die Beteiligung der Gläubiger im Ernstfall eine Einzelfallprüfung, um die Folgen etwaiger Marktturbulenzen abschätzen zu können. Es scheint sehr unwahrscheinlich, dass es bei solchen Spielregeln jemals zu einer Beteiligung privater Gläubiger kommt, weil sich diese Alternative immer mit dem Argument abschmettern ließe, die Stabilität des Finanzsystems sei gefährdet – jedenfalls solange es keine Regeln für eine staatliche Insolvenz im Euro-Raum gibt. In der Konsequenz müssten immer wieder die Euro-Staaten einspringen. Eine Hilfszahlung würde sich an die andere reihen.

Es ist also dringend erforderlich, die Eigentumsrechte auf der einen sowie die Anreiz- und Haftungsstrukturen auf der anderen Seite sorgfältig auszutarieren. Unter den gegebenen Bedingungen ist dies kaum möglich. Zu groß ist der Zeitdruck, zu ungleich sind die Möglichkeiten der Interessendurchsetzung. Faire und effiziente Resultate sind nur zu erwarten, wenn es eine tagespolitisch unabhängige und glaubwürdige Gerichtsinstanz gibt, die den Insolvenzfall feststellt – und kalkulierbare Regeln, wie danach zu verfahren ist. Die Instanz müsste sowohl dem Gläubigerschutz als auch der Einheit von Schaden und Nutzen wirtschaftlicher Entscheidungen verpflichtet sein.

Funktionieren diese Regeln, dann sinkt die Krisengefahr. Eine glaubwürdige Drohung, dass auch die privaten Gläubiger an einer staatlichen Insolvenz im Euro-Raum beteiligt würden, macht es ziemlich unwahrscheinlich, dass dieser Fall jemals eintritt.