Der Staat hat nicht die Macht, das Bargeld abzuschaffen

Gastbeitrag in Die Welt vom 12.05.2016

Jetzt wird also der 500-Euro-Schein abgeschafft. Und eine Diskussion über die Abschaffung des Bargelds insgesamt ist seit einiger Zeit schon in Gange. Diese Diskussion basiert allerdings auf unsinnigen Annahmen. Der Staat hat zwar die Möglichkeit, die Ausgabe von Banknoten und Münzen einzustellen, aber die Verwendung eines allgemein akzeptierten Tausch- und Wertaufbewahrungsmittels zu verhindern, steht nicht in seiner Macht. Geld ist, was die Funktionen des Geldes übernimmt, also im Wesentlichen die Erleichterung des Gütertauschs und die Wertaufbewahrung. Als es noch kein staatliches Geld gab, haben andere Gegenstände diese Funktionen übernommen, zum Beispiel seltene Metalle, besondere Steine oder auch Walzähne oder Seide. Das Bargeld in seiner heutigen Form hat sich über Jahrhunderte entwickelt.

Die Wirtschaftsgeschichte hält genügend Beispiele dafür parat, was passiert, wenn das staatliche Geld die Geldfunktionen nicht wahrnimmt. So gab es etwa in Kriegsgefangenenlagern kein offizielles Bargeld. Ein unter den Insassen allgemein akzeptiertes Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel hat sich trotzdem sehr schnell herausgebildet: Zigaretten. Es hat auch immer wieder Staaten gegeben, die es mit dem Gelddrucken übertrieben haben und dadurch das eigene Geld wertlos gemacht haben. In diesen Situationen wird von den Bürgern auf ausländisches Geld zurückgegriffen. Dass ausländisches Geld inländisches substituiert, wenn das inländische nicht zufriedenstellend funktioniert, konnte man etwa auf dem Balkan beobachten, wo Deutsche Mark zeitweise ein allgemein akzeptiertes Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel waren. Und in einer Reihe von Ländern ist es problemlos möglich, mit US-Dollar zu bezahlen, obwohl es auch eine inländische Währung gibt. Dort wo der Staat versucht, die Verwendung ausländischen Geldes einzuschränken oder zu stark zu reglementieren, bildet sich ein blühender Schwarzmarkhandel heraus wie zum Beispiel seinerzeit beim Umtausch von D-Mark und DDR-Mark. Außerdem zeigen auch die Bitcoins, dass eine staatliche Garantie für Geld keine zwingende Voraussetzung ist.

Der Staat hat also gar nicht die Möglichkeit, die Verwendung eines bestimmten Zahlungsmittels durchzusetzen. Dennoch ist die staatliche Garantie natürlich sehr nützlich, um die Kosten des Geldverkehrs zu reduzieren. Werden Waren als Geld verwendet, wie zum Beispiel seltene Metalle oder Zigaretten, so stehen diese Waren nicht mehr für ihren eigentlichen Zweck zur Verfügung; und außerdem sind die Informationskosten bezüglich des zugrundeliegenden Wertes größer als bei einem standardisierten, staatlich garantierten Geld. Die Abschaffung eines staatlich garantierten Zahlungsmittels brächte also lediglich immense Transaktionskosten bei der Etablierung neuer Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel mit sich. Und nicht zuletzt würde sich die Geldpolitik mit der Abschaffung des Bargelds selbst ein Bein stellen, weil die geldpolitische Steuerung weitgehend aus der Hand gegeben wird, wenn ausländisches Geld das inländische substituiert.

Diese Argumente bedeuten nicht, dass das Bargeld nicht irgendwann überflüssig werden könnte, weil es vom elektronischen Bezahlen abgelöst wird. Das kann durchaus passieren; aber es kann nicht staatlich angeordnet werden. Wenn die Menschen es einfacher und bequemer finden, mit der Kreditkarte oder dem Mobiltelefon zu bezahlen als mit Bargeld, dann wird sich das mit der Zeit durchsetzen. Aber eine Abschaffung des offiziellen Bargelds hätte wohl kaum die gewünschte Wirkung. Wir kämen mit der Abschaffung staatlichen Bargeldes nicht von heute auf morgen in eine rein digitale Bezahl-Zukunft, sondern vermutlich eher zurück in die Zeit des Warengeldes und der Währungssubstitution. Das wäre keine Verbesserung – weder im Hinblick auf die Kriminalitätsbekämpfung noch im Hinblick auf die Effizienz des Geldverkehrs. Der Illusion, dass alle Staaten gleichzeitig das Gelddrucken abschaffen und damit die Substitutionsmöglichkeiten einschränken, dürfte sich wohl niemand ernsthaft hingeben.